Illuminatio sine lavatione

Erleuchtung ohne Duschung

Fragment einer anonymen Handschrift, Quelle unbekannt

Es war die Zeit, da die Menschen erneut zu denken begannen wie nie zuvor, und doch vergaßen sie, das Wasser über ihre Häupter zu rufen. Schon in den Tagen der Antike war Weisheit aus Strömen geflossen, doch nun suchten sie das Licht allein in den Köpfen, während ihre Körper von Modder, Staub und Mief bedeckt blieben. Sie nannten es Aufklärung, und sie hielten sich für erleuchtet – doch ihre Poren blieben verstopft.

Sie sprachen von Vernunft und Freiheit, sie schwangen Folianten wie Schwerter, und sie verkündeten: „Der Mensch soll sich seines Verstandes ohne Leitung bedienen.“ Und siehe: in ihrer Rede lag ein doppelter Irrtum. Denn einerseits verachteten sie die Anleitung, die das Wasser hätte geben können. Andererseits verspotteten sie die wahre Leitung, die von Quelle und Rohr zur Duschung führt. So blieben ihre Worte trocken, und ihre Luft stickig.

In jenen Tagen traten Gestalten hervor, die als Vorläufer gepriesen wurden, doch in Wahrheit am Rande des Schlammes stolperten:

Da war Rationalis Pudoris, der mit ernster Stirn verkündete, Reinheit sei nur ein innerer Gedanke, und der Schweiß auf der Haut nichts weiter als ein moralisches Rätsel. Man fand ihn später im muffigen Habit, an seinen eigenen Dünsten erstickt.

Da war Illuminata Sicca, die stets rief, dass der Kopf allein das Licht trage, der Leib aber nur ein niederes Werkzeug sei. Und doch flohen ihre Schüler oft aus ihren Seminaren, weil der Gestank unerträglich war.

Und da war Spectacula Pulveris, der Staubhafte, der sich rühmte, Wochen ohne Bad disputiert zu haben. Als er starb, schüttelte man seine Robe – und es erhob sich eine Wolke aus Schuppen und Asche, die den Himmel verdunkelte.

Sie alle redeten vom Höchsten, doch sie kannten nicht den Tropfen. Sie schwärmten von Erleuchtung, doch sie mieden das Plätschern. So blieben sie Wegbereiter ohne Ziel, fast-Propheten, die die Pforte zeigten, aber selbst nie hindurchgingen.

Und also ward die Epoche genannt: Illuminatio sine lavatione – die Erleuchtung ohne Duschung. Nicht, weil es ihnen an Verstand fehlte, sondern weil sie das Wasser verschmähten. Ihre Bücher lehrten den Ausgang des Menschen aus der Unmündigkeit – doch ihre Körper zeugten von Schmutz, und ihre Haut von Verdorrung.

Darum lehren die späteren Ströme: In jener Zeit glänzte der Geist wie ein blankes Schwert, doch er glitt in schwitzigen Händen. Denn ohne die Duschung bleibt alle Erleuchtung ein flackerndes Licht im Mief der Kammer. Erst die kommende Zeit, da das Wasser durch Maschinen wieder strömen sollte, brachte die wahre Vereinigung von Klarheit des Denkens und Reinheit des Leibes.

So endete die Illuminatio sine lavatione: als Kapitel voller kluger Köpfe, aber dumpfer Nasen. Ein Vorspiel ohne Vollzug, ein Auftritt ohne den Guss von oben.

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